Jede Waidhofnerin und jeder Waidhofner kennt den markanten runden Turm vor der Stadtpfarrkirche von Waidhofen / Ybbs. Doch nur wenige kennen die lange Geschichte dieses historischen Bauwerkes. Kanonikus, Stadtpfarrer Mag. Herbert Döller hat sich nun die Mühe gemacht, die historischen Unterlagen samt Bildern zusammenzufassen. Denn dieser Turm hat aktuell ein gefiedertes Naturschauspiel zu bieten.
Brütende Turmfalken – daher soll der Turm nun auch als “Falkenturm” bekannt gemacht werden.
Halbrund gewachsen, nah der Kirche, steht dieser Turm, man kennt ihn kaum, und trutzt gedrungen über Zeiten, verwurzelt wie ein fester Baum!
Er war nicht Teil der Kirchenfestung, wurd‘ eigenständig einst erbaut, er, der auch heut‘ noch stark und mächtig auf unser Stadtgeschehen schaut!
Es ist, als stünde er bescheiden dem hohen Kirchturm beigesellt, doch ist er selbst ein Teil Geschichte, wie uns sein „Lebenslauf“ erzählt!
Er diente anfangs als Kapelle, dann speist man dort die Armen aus, war Wallfahrtszentrum, Kohlenkeller, und lange vorher Knochenhaus!
Er war auch Lager für Kartoffeln, ein Waffenhaus für uns‘re Stadt, für Schätze eine feste Kammer und Fluchtburg vorm Sowjet-Soldat!
Man nannt ihn den Turm von Luther, obwohl geschichtlich das nicht passt, heut‘ findet man dort Jesu Grabmal, als „Heil‘ges Grab“ in Gold gefasst!
Den „Pfadfindern“ dient er als Heimstatt, die Lilie ist deren Zier, sie tragen guten Taten täglich mit Stolz auf Banner und Panier!
Seit ein paar Jahren kreisen Falken mit sanften Flügeln um den Turm, sie nisten und sie zeugen Junge und trotzen Regen, Schnee und Sturm!
Die Falken sind etwas Besond‘res! Denn mit dem ersten Sonnenstrahl, da segeln fast sie wie Beschützer durch unser heimatliches Tal!
Mit ihren starken, scharfen Augen wird jede Beute gleich erspäht und Kirchenmäusen quicken leise, weil es um ihre Hälse geht!
Der Falke hat den Turm erobert! Er zog nun als Bewohner ein! Drum soll der Turm nach vielen Namen der „Falkenturm“ für alle sein!
Die lange Geschichte dieses Turmes hat Stadtdichter Fred Eichleter in einem Gedicht gewürdigt.
um 1972um 2005Aktuell 2021 – Falken am Turm
Stadtpfarrer Mag. Herbert Döller zu den historischen Details:
Von der Kapelle zum Pfadfinderheim
Prägend und dominant erhebt sich in Waidhofen an der Ybbs vom Niveau des 1999 errichteten Pfarrgartenparkplatzes ein Rundturm, dem ein Rechteckbau angeschlossen ist. Da die unter Bischof Berthold von Wehingen um 1400 erbaute Stadtmauer, die heute das Fundament des Pfarrhofs bildet an dieser Stelle anstößt, war man stets geneigt, diesen Rundturm als Teil der Stadtbefestigung zu sehen und ihn als Wehrturm einzustufen.
Der markante Rund-Turm im April 2021 – fotografiert von Karl Piaty sen.
Eine neuere bauhistorische Untersuchung hat ergeben, dass Turm und Rechteckbau gemeinsam in einem Zuge als Kapelle erbaut wurden und mit der Stadtmauer in keinerlei Verbindung standen. Aus Archivalien lässt sich die Vollendung des Gebäudes mit der Errichtung des Annabenefiziums an dieser Kapelle durch Peter Harder gleichsetzen, die am 7. November 1501 geschah, als Kaspar Bonora, ein Weltpriester der Diözese Salzburg, als Benefiziat eingesetzt wurde. Ab diesem Zeitpunkt diente das Gebäude für die hl. Messe, die täglich darin für die Stifter gefeiert wurde sowie für die Abhaltung vierteljährlicher Jahrtage mit Armenspeisung.
Das Untergeschoß diente als Karner, der notwendig wurde, da der alte, relativ kleine Karner, der bei der letzten Kirchenrenovierung unter dem südlichen Seitenschiff entdeckt wurde, durch den Kirchenneubau am Ende des 15. Jhdts. unter der neuen Kirche zu liegen kam und aufgegeben wurde. Der neue Karner unter dem Hochaltarraum war vermutlich durch die bei der Kirchenerweiterung ergrabenen Gebeine ziemlich voll geworden, sodass man wegen des beschränkten Platzes auf dem Friedhof eine neue Möglichkeit vorsehen musste, die sich an diesem Platz geländetechnisch anbot.
Im äußeren Erscheinungsbild des Rundturmes kann man sehr gut dessen Entstehung nachvollziehen. Im steinsichtigen Mauerwerk markiert ein Kaffgesimse im Rechteckbau die Geschoßteilung, während der Rundturm in seiner Höhe ungegliedert dasteht. Die Nordwand weist als horizontale Gliederung zwei reduzierte Strebepfeiler links und rechts des verstäbten rechteckigen Schulterportals auf. Die zahlreichen viereckigen Löcher im Mauerwerk sind keineswegs „Schießscharten“, sondern waren Gerüstlöcher, in die bei der Erbauung Pfosten eingeschoben wurden und dann ein weiteres Geschoß aufgesetzt werden konnte. Die Löcher wurden nicht verschlossen, um bei späteren Erhaltungsarbeiten wiederum für den gleichen Zweck zur Verfügung zu stehen.
Schon in ältesten Darstellungen sind Vögel zu erkennen, allerdings nicht beim Rundturm, sondern beim damals noch mit “spitzem Dach” versehehenen Burgfried
Der im 19. Jhdt. aufgekommene Name „Lutherturm oder Lutherischer Tempel“ legte es nahe, diesem Turm und der Kapelle eine Rolle im bald nach der Errichtung einsetzenden Reformationsgeschehen der Stadt zuzuweisen. Je nach Standpunkt sollten Katholiken oder Protestanten darin Gottesdienst gefeiert haben. Da den Protestanten die Bürgerspitalkirche zur Verfügung stand, werden sie wohl kaum diese Kapelle benützt haben. Wirklich belegen lässt sich allerdings nur, dass der protestantisch dominierte Stadtrat die Stiftung an der Kapelle zusammen mit den anderen an der Pfarrkirche eingezogen hatte. Dies bewirkte die völlige Verarmung der von den Gütern lebenden Priester und folglich auch eine Aufgabe der Messfeiern zugunsten des Stiftungszweckes.
Nach der Reformation kommt das Gebäude in den bzw. bleibt im Besitz der Stadt und wird durch Abtragen des Altarraumes profaniert und zu einem Zeughaus. Im Inneren sieht man heute noch die Anläufe der Dienste und der Kragsteine für das gotische Rippengewölbe, das vielleicht beim Stadtbrand 1570 eingestürzt oder später eingeschlagen wurde. 1566 findet sich im Protokoll der Ratssitzung vom 27. Mai eine Auflistung der Bewaffnung der Stadt, wobei dieses Gebäude als Zeughaus bezeichnet wird.
Die Notwendigkeit des Karners war 1542 durch die Verlegung des Friedhofs in die Nähe der Bürgerspitalkirche heute „Schillerpark“ weggefallen. Mit dem Abtragen der Apsis begann eine größere Umgestaltung des Gebäudes. Die entstandene freie Fläche der Ostseite schmückte man mit einem Gemälde, dessen oberer Rand im Dachbereich des heutigen Zubaus sichtbar ist, und das vermutlich eine Ölbergszene oder eine Kreuzigung zeigte.
Die einander gegenüberliegenden gotischen Spitzbogenfenster im Norden und im Süden wurden zugemauert, was darauf schließen lässt, dass schon damals zwei Geschoßdecken eingezogen wurden. Der Kupferstich von Matthäus Merian 1649 bildet die Annakapelle mit einer barocken Haube auf dem den Rechteckbau überragenden Turm und im Osten noch mit der Apsis ausgestattet ab. Die halbrunde Apsis ist vermutlich eine Reminiszenz an frühere Zeiten, wie sie bei Merian öfters zu beobachten ist, denn sie passt mit dem Befund der vorhandenen Reste des Chorbogens im Inneren des Gebäudes nicht wirklich zusammen. Ein Bild im Museum, das Pfarrer Pocksteiner (1651-1686) in der Verehrung des Gekreuzigten zeigt, bildet die Annakapelle an prominenter Stelle ab und zeigt den Rundturm ohne barocke Haube. An die profanierte Kapelle baute um 1670 Johann Bernhard Pocksteiner nach Intensivierung der Wallfahrt an der Marienkapelle die „Schatzkammer der Marienkapelle“ für die Votivgaben der Pilger an. Von dieser Verwendung rührt noch der heutige Name „Paramentenkammer“ her. Leider führen die Kästen aus der Pocksteinerzeit in ihr ein eher trübseliges Dasein.
Heute hat das Gebäude im Untergeschoß im Süden ein großes Rechteckfenster, das vermutlich einst die Tür in den unteren Raum bildete, bevor die kleine Tür zur Innenstiege ausgebrochen wurde. Zumindest sieht es auf dem Bild vom Einmarsch der Franzosen 1800 so aus.
Am Rundturm gibt es im Untergeschoß zusätzlich zwei Rechteckfenster, die eigentlich gegen eine Verwendung des Raumes zur Knocheneinlagerung sprechen. Nachdem die eingelagerten Knochen, entfernt waren6, wird das Untergeschoß auch Depotzwecken („Zeughaus”) der Stadt gedient haben. Nachdem durch Kaufvertrag vom 3. November 1806 das ganze Gebäude in den Besitz der Pfarre gelangt war benützte man den Raum als Kohlenkeller des Pfarrhofs, bzw. Kartoffelkeller und die Vorgängerfirma der Fa. Kröller hatte auch bis 1935 Metallteile darin gelagert. In diesem Jahr stellte man das Heilige Grab nach der Renovierung der Marienkapelle fix in diesem Raum auf, um die Einrichtung der Marienkapelle durch den jährlichen Auf- und Abbau nach deren Renovierung zu schonen.
Im Obergeschoß, plante Kanonikus Hörtler um 1870 die Einrichtung des Kindergartens in diesem Gebäude. Darüber liegen im Pfarrarchiv detaillierte Pläne, die jedoch nicht ausgeführt wurden. So blieb es das Zeughaus der Pfarre. Das 2. Obergeschoß erhielt während der NS Zeit nochmals die Bestimmung als Kapelle zurück. Der aus Tirol stammende Kaplan P. Ferdinand Trentinaglia SJ war in die Diözese St. Pölten übersiedelt, weil er wegen fortgesetzter Widerstandstätigkeit unter den Jugendlichen Innsbrucks seinem Orden gefährlich wurde. Als Kaplan in Waidhofen angestellt, begann er unter den jungen Leuten ähnlich zu wirken, und man richtete sich im Turm eine Kapelle ein, wo Jugendmessen stattfanden. Es gibt eine Kapellenchronik, die Trentinaglia als Motor hinter dem Unternehmen bezeichnet, das dann nach seiner Versetzung von Kaplan Kurt Strunz (Deckname „Lotte“) weitergeführt wurde. Trentinaglia geriet später ins Netz der Polizei und wurde gefangengesetzt. Er findet sich im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Er starb 1985 als Pfarrer in Bärnkopf im Waldviertel. Die „St. Georgs-Kapelle“ wurde durch Bischof Memelauer am 5. Juli 1942persönlich eingeweiht und von den Handwerkern unter den Jugendlichen ausgestaltet. Zwei Glasfenster und das Gemälde des hl. Georg trug als Alumne des Priesterseminars der spätere Pfarrer von Karlstift Alfred Ziegelwanger bei.
1943 konnte Propst Pflügl die Beschlagnahmung des Gebäudes durch die Nationalsozialisten abwenden. Als die Russen 1945 Österreich besetzten war der Turm vor allem eine gesuchte Zufluchtsstätte für Mädchen, die über eine Falltür in der zweiten Geschoßdecke in den Dachraum gelangten, und nachdem sie die Leiter hochgezogen hatten, sich dort sicher fühlen konnten. 1972 übernahmen die Pfadfinder die beiden Obergeschoße zu einer symbolischen Miete und bauten sie als Pfadfinderheim aus. Im Zuge der Erneuerung hat man die gotischen Fenster wieder geöffnet und in Kauf genommen, dass die neu eingezogene Stahlbetondecke von außen sichtbar ist. Zuletzt wurde das Gebäude 1998 mit Biberschwanzziegeln eingedeckt. Ende der Ausführungen von Stadtpfarrer Mag. Herbert Döller
Um sicherzugehen hat sich Karl Piaty sen. beim Präsidenten des Bundesdenkmalamtes, Dr. Chritoph Bazil, über die Sicht des Bundesdenkmalamtes erkundigt. Wie zu erwarten hat das Bundesdenkmalamt die Sichtweise zu diesem Rundgebäude voll bestätigt und die wissenschaftliche Arbeit dazu übermittelt. Eine Veröffentlichung durch den Kulturkreis Freisingerberg (Karl Piaty sen.) wurde ebenfalls freigegeben. Der Kulturkreis Freisingerberg bedankt sich daher insbesonders bei Frau Anna Piuk (Verfasserin der wissenschaftlichen Arbeit) für weitere telefonische Ausführungen. Hier diese wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahre 2004:
Falken & Glaube liegen oft sehr nahe beisammen – die zeigt dieses Beispiel:
Diese Verse des 24jährigen Rainer Maria Rilke haben mich von Jugend an tief beeindruckt. Oft habe ich mich in ihnen selbst entdecken können. Ich weiß nicht, ob ich Falke, Sturm oder großer Gesang bin. Mal ist Gott für mich Heimat, so wie für den Falken der Turm. Mal rüttele ich, erfüllt von Zweifeln, an seinen Grundfesten. Und dann wieder bestaune und besinge ich voller Ehrfurcht seine Größe. Die Suche nach dem, was Gott für mich ist, hört nie auf.
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, und ich kreise jahrtausendelang; und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.“
Nun aktuelle Fotos vom April 2021 von Fritz Bachner und Karl Piaty sen.
Warum soll dieser Turm nunmehr den Namen “Falkenturm” tragen.
Bereits 2020 nisteten dort ein paar Turmfalken, nützten die Löcher der Gerüsthalterungen geschickt für ihre Zwecke aus. Im April 2021 wurde von der Pfarrkanzlei aus ein weit stärkeres Aufkommen an Turmfalken festgestellt.
Am Fenstergesimse der Pfarrkanzlei läßt sich gut durteln
Naturfotograf Fritz Bachner und Kulturkreis Freisingerberg Administrator Karl Piaty sen. erhielten vom Stadtpfarrer die Erlaubnis, im Pfarrgelände hochwertige Kameras zu postieren um Flug und Nistweise der Falken zu dokumentieren.
Dieser BLOG des Kulturkreises Freisingerberg zeigt das Ergebnis in Bildern und Videos.
Jede Waidhofnerin und jeder Waidhofner kennt den markanten runden Turm vor der Stadtpfarrkirche von Waidhofen / Ybbs. Doch nur wenige kennen die lange Geschichte dieses historischen Bauwerkes.
Kanonikus, Stadtpfarrer Mag. Herbert Döller hat sich nun die Mühe gemacht, die historischen Unterlagen samt Bildern zusammenzufassen. Denn dieser Turm hat aktuell ein gefiedertes Naturschauspiel zu bieten.
Brütende Turmfalken –
daher soll der Turm nun auch als “Falkenturm” bekannt gemacht werden.
Halbrund gewachsen, nah der Kirche,
steht dieser Turm, man kennt ihn kaum,
und trutzt gedrungen über Zeiten,
verwurzelt wie ein fester Baum!
Er war nicht Teil der Kirchenfestung,
wurd‘ eigenständig einst erbaut,
er, der auch heut‘ noch stark und mächtig
auf unser Stadtgeschehen schaut!
Es ist, als stünde er bescheiden
dem hohen Kirchturm beigesellt,
doch ist er selbst ein Teil Geschichte,
wie uns sein „Lebenslauf“ erzählt!
Er diente anfangs als Kapelle,
dann speist man dort die Armen aus,
war Wallfahrtszentrum, Kohlenkeller,
und lange vorher Knochenhaus!
Er war auch Lager für Kartoffeln,
ein Waffenhaus für uns‘re Stadt,
für Schätze eine feste Kammer
und Fluchtburg vorm Sowjet-Soldat!
Man nannt ihn den Turm von Luther,
obwohl geschichtlich das nicht passt,
heut‘ findet man dort Jesu Grabmal,
als „Heil‘ges Grab“ in Gold gefasst!
Den „Pfadfindern“ dient er als Heimstatt,
die Lilie ist deren Zier,
sie tragen guten Taten täglich
mit Stolz auf Banner und Panier!
Seit ein paar Jahren kreisen Falken
mit sanften Flügeln um den Turm,
sie nisten und sie zeugen Junge
und trotzen Regen, Schnee und Sturm!
Die Falken sind etwas Besond‘res!
Denn mit dem ersten Sonnenstrahl,
da segeln fast sie wie Beschützer
durch unser heimatliches Tal!
Mit ihren starken, scharfen Augen
wird jede Beute gleich erspäht
und Kirchenmäusen quicken leise,
weil es um ihre Hälse geht!
Der Falke hat den Turm erobert!
Er zog nun als Bewohner ein!
Drum soll der Turm nach vielen Namen
der „Falkenturm“ für alle sein!
Die lange Geschichte dieses Turmes hat Stadtdichter Fred Eichleter in einem Gedicht gewürdigt.
Stadtpfarrer Mag. Herbert Döller zu den historischen Details:
Von der Kapelle zum Pfadfinderheim
Prägend und dominant erhebt sich in Waidhofen an der Ybbs vom Niveau des 1999 errichteten Pfarrgartenparkplatzes ein Rundturm, dem ein Rechteckbau angeschlossen ist. Da die unter Bischof Berthold von Wehingen um 1400 erbaute Stadtmauer, die heute das Fundament des Pfarrhofs bildet an dieser Stelle anstößt, war man stets geneigt, diesen Rundturm als Teil der Stadtbefestigung zu sehen und ihn als Wehrturm einzustufen.
Eine neuere bauhistorische Untersuchung hat ergeben, dass Turm und Rechteckbau gemeinsam in einem Zuge als Kapelle erbaut wurden und mit der Stadtmauer in keinerlei Verbindung standen. Aus Archivalien lässt sich die Vollendung des Gebäudes mit der Errichtung des Annabenefiziums an dieser Kapelle durch Peter Harder gleichsetzen, die am 7. November 1501 geschah, als Kaspar Bonora, ein Weltpriester der Diözese Salzburg, als Benefiziat eingesetzt wurde. Ab diesem Zeitpunkt diente das Gebäude für die hl. Messe, die täglich darin für die Stifter gefeiert wurde sowie für die Abhaltung vierteljährlicher Jahrtage mit Armenspeisung.
Das Untergeschoß diente als Karner, der notwendig wurde, da der alte, relativ kleine Karner, der bei der letzten Kirchenrenovierung unter dem südlichen Seitenschiff entdeckt wurde, durch den Kirchenneubau am Ende des 15. Jhdts. unter der neuen Kirche zu liegen kam und aufgegeben wurde. Der neue Karner unter dem Hochaltarraum war vermutlich durch die bei der Kirchenerweiterung ergrabenen Gebeine ziemlich voll geworden, sodass man wegen des beschränkten Platzes auf dem Friedhof eine neue Möglichkeit vorsehen musste, die sich an diesem Platz geländetechnisch anbot.
Im äußeren Erscheinungsbild des Rundturmes kann man sehr gut dessen Entstehung nachvollziehen. Im steinsichtigen Mauerwerk markiert ein Kaffgesimse im Rechteckbau die Geschoßteilung, während der Rundturm in seiner Höhe ungegliedert dasteht. Die Nordwand weist als horizontale Gliederung zwei reduzierte Strebepfeiler links und rechts des verstäbten rechteckigen Schulterportals auf. Die zahlreichen viereckigen Löcher im Mauerwerk sind keineswegs „Schießscharten“, sondern waren Gerüstlöcher, in die bei der Erbauung Pfosten eingeschoben wurden und dann ein weiteres Geschoß aufgesetzt werden konnte. Die Löcher wurden nicht verschlossen, um bei späteren Erhaltungsarbeiten wiederum für den gleichen Zweck zur Verfügung zu stehen.
sondern beim damals noch mit “spitzem Dach” versehehenen Burgfried
Der im 19. Jhdt. aufgekommene Name „Lutherturm oder Lutherischer Tempel“ legte es nahe, diesem Turm und der Kapelle eine Rolle im bald nach der Errichtung einsetzenden Reformationsgeschehen der Stadt zuzuweisen. Je nach Standpunkt sollten Katholiken oder Protestanten darin Gottesdienst gefeiert haben. Da den Protestanten die Bürgerspitalkirche zur Verfügung stand, werden sie wohl kaum diese Kapelle benützt haben. Wirklich belegen lässt sich allerdings nur, dass der protestantisch dominierte Stadtrat die Stiftung an der Kapelle zusammen mit den anderen an der Pfarrkirche eingezogen hatte. Dies bewirkte die völlige Verarmung der von den Gütern lebenden Priester und folglich auch eine Aufgabe der Messfeiern zugunsten des Stiftungszweckes.
Nach der Reformation kommt das Gebäude in den bzw. bleibt im Besitz der Stadt und wird durch Abtragen des Altarraumes profaniert und zu einem Zeughaus. Im Inneren sieht man heute noch die Anläufe der Dienste und der Kragsteine für das gotische Rippengewölbe, das vielleicht beim Stadtbrand 1570 eingestürzt oder später eingeschlagen wurde. 1566 findet sich im Protokoll der Ratssitzung vom 27. Mai eine Auflistung der Bewaffnung der Stadt, wobei dieses Gebäude als Zeughaus bezeichnet wird.
Die Notwendigkeit des Karners war 1542 durch die Verlegung des Friedhofs in die Nähe der Bürgerspitalkirche heute „Schillerpark“ weggefallen.
Mit dem Abtragen der Apsis begann eine größere Umgestaltung des Gebäudes. Die entstandene freie Fläche der Ostseite schmückte man mit einem Gemälde, dessen oberer Rand im Dachbereich des heutigen Zubaus sichtbar ist, und das vermutlich eine Ölbergszene oder eine Kreuzigung zeigte.
Die einander gegenüberliegenden gotischen Spitzbogenfenster im Norden und im Süden wurden zugemauert, was darauf schließen lässt, dass schon damals zwei Geschoßdecken eingezogen wurden. Der Kupferstich von Matthäus Merian 1649 bildet die Annakapelle mit einer barocken Haube auf dem den Rechteckbau überragenden Turm und im Osten noch mit der Apsis ausgestattet ab. Die halbrunde Apsis ist vermutlich eine Reminiszenz an frühere Zeiten, wie sie bei Merian öfters zu beobachten ist, denn sie passt mit dem Befund der vorhandenen Reste des Chorbogens im Inneren des Gebäudes nicht wirklich zusammen. Ein Bild im Museum, das Pfarrer Pocksteiner (1651-1686) in der Verehrung des Gekreuzigten zeigt, bildet die Annakapelle an prominenter Stelle ab und zeigt den Rundturm ohne barocke Haube. An die profanierte Kapelle baute um 1670 Johann Bernhard Pocksteiner nach Intensivierung der Wallfahrt an der Marienkapelle die „Schatzkammer der Marienkapelle“ für die Votivgaben der Pilger an. Von dieser Verwendung rührt noch der heutige Name „Paramentenkammer“ her. Leider führen die Kästen aus der Pocksteinerzeit in ihr ein eher trübseliges Dasein.
Heute hat das Gebäude im Untergeschoß im Süden ein großes Rechteckfenster, das vermutlich einst die Tür in den unteren Raum bildete, bevor die kleine Tür zur Innenstiege ausgebrochen wurde. Zumindest sieht es auf dem Bild vom Einmarsch der Franzosen 1800 so aus.
Am Rundturm gibt es im Untergeschoß zusätzlich zwei Rechteckfenster, die eigentlich gegen eine Verwendung des Raumes zur Knocheneinlagerung sprechen. Nachdem die eingelagerten Knochen, entfernt waren6, wird das Untergeschoß auch Depotzwecken („Zeughaus”) der Stadt gedient haben. Nachdem durch Kaufvertrag vom 3. November 1806 das ganze Gebäude in den Besitz der Pfarre gelangt war benützte man den Raum als Kohlenkeller des Pfarrhofs, bzw. Kartoffelkeller und die Vorgängerfirma der Fa. Kröller hatte auch bis 1935 Metallteile darin gelagert. In diesem Jahr stellte man das Heilige Grab nach der Renovierung der Marienkapelle fix in diesem Raum auf, um die Einrichtung der Marienkapelle durch den jährlichen Auf- und Abbau nach deren Renovierung zu schonen.
Im Obergeschoß, plante Kanonikus Hörtler um 1870 die Einrichtung des Kindergartens in diesem Gebäude. Darüber liegen im Pfarrarchiv detaillierte Pläne, die jedoch nicht ausgeführt wurden. So blieb es das Zeughaus der Pfarre.
Das 2. Obergeschoß erhielt während der NS Zeit nochmals die Bestimmung als Kapelle zurück. Der aus Tirol stammende Kaplan P. Ferdinand Trentinaglia SJ war in die Diözese St. Pölten übersiedelt, weil er wegen fortgesetzter Widerstandstätigkeit unter den Jugendlichen Innsbrucks seinem Orden gefährlich wurde. Als Kaplan in Waidhofen angestellt, begann er unter den jungen Leuten ähnlich zu wirken, und man richtete sich im Turm eine Kapelle ein, wo Jugendmessen stattfanden. Es gibt eine Kapellenchronik, die Trentinaglia als Motor hinter dem Unternehmen bezeichnet, das dann nach seiner Versetzung von Kaplan Kurt Strunz (Deckname „Lotte“) weitergeführt wurde. Trentinaglia geriet später ins Netz der Polizei und wurde gefangengesetzt. Er findet sich im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Er starb 1985 als Pfarrer in Bärnkopf im Waldviertel. Die „St. Georgs-Kapelle“ wurde durch Bischof Memelauer am 5. Juli 1942persönlich eingeweiht und von den Handwerkern unter den Jugendlichen ausgestaltet. Zwei Glasfenster und das Gemälde des hl. Georg trug als Alumne des Priesterseminars der spätere Pfarrer von Karlstift Alfred Ziegelwanger bei.
1943 konnte Propst Pflügl die Beschlagnahmung des Gebäudes durch die Nationalsozialisten abwenden.
Als die Russen 1945 Österreich besetzten war der Turm vor allem eine gesuchte Zufluchtsstätte für Mädchen, die über eine Falltür in der zweiten Geschoßdecke in den Dachraum gelangten, und nachdem sie die Leiter hochgezogen hatten, sich dort sicher fühlen konnten.
1972 übernahmen die Pfadfinder die beiden Obergeschoße zu einer symbolischen Miete und bauten sie als Pfadfinderheim aus. Im Zuge der Erneuerung hat man die gotischen Fenster wieder geöffnet und in Kauf genommen, dass die neu eingezogene Stahlbetondecke von außen sichtbar ist. Zuletzt wurde das Gebäude 1998 mit Biberschwanzziegeln eingedeckt.
Ende der Ausführungen von Stadtpfarrer Mag. Herbert Döller
Um sicherzugehen hat sich Karl Piaty sen. beim Präsidenten des Bundesdenkmalamtes, Dr. Chritoph Bazil, über die Sicht des Bundesdenkmalamtes erkundigt. Wie zu erwarten hat das Bundesdenkmalamt die Sichtweise zu diesem Rundgebäude voll bestätigt und die wissenschaftliche Arbeit dazu übermittelt. Eine Veröffentlichung durch den Kulturkreis Freisingerberg (Karl Piaty sen.) wurde ebenfalls freigegeben. Der Kulturkreis Freisingerberg bedankt sich daher insbesonders bei Frau Anna Piuk (Verfasserin der wissenschaftlichen Arbeit) für weitere telefonische Ausführungen.
Hier diese wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahre 2004:
Falken & Glaube liegen oft sehr nahe beisammen – die zeigt dieses Beispiel:
Diese Verse des 24jährigen Rainer Maria Rilke haben mich von Jugend an tief beeindruckt. Oft habe ich mich in ihnen selbst entdecken können. Ich weiß nicht, ob ich Falke, Sturm oder großer Gesang bin. Mal ist Gott für mich Heimat, so wie für den Falken der Turm. Mal rüttele ich, erfüllt von Zweifeln, an seinen Grundfesten. Und dann wieder bestaune und besinge ich voller Ehrfurcht seine Größe. Die Suche nach dem, was Gott für mich ist, hört nie auf.
„Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.“
Nun aktuelle Fotos vom April 2021 von Fritz Bachner und Karl Piaty sen.
Warum soll dieser Turm nunmehr den Namen “Falkenturm” tragen.
Bereits 2020 nisteten dort ein paar Turmfalken, nützten die Löcher der Gerüsthalterungen geschickt für ihre Zwecke aus. Im April 2021 wurde von der Pfarrkanzlei aus ein weit stärkeres Aufkommen an Turmfalken festgestellt.
Naturfotograf Fritz Bachner und Kulturkreis Freisingerberg Administrator Karl Piaty sen. erhielten vom Stadtpfarrer die Erlaubnis, im Pfarrgelände hochwertige Kameras zu postieren um Flug und Nistweise der Falken zu dokumentieren.
Dieser BLOG des Kulturkreises Freisingerberg
zeigt das Ergebnis in Bildern und Videos.
Medienreaktion NÖN 21. April 2021
https://www.noen.at/ybbstal/neue-bewohner-waidhofen-ybbs-tierischer-zuzug-in-der-innenstadt-waidhofen-an-der-ybbs-innenstadt-waidhofen-an-der-ybbs-falken-print-270793031
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